
Sehr geehrte Damen und Herren,
hier ist Ihr Emissionsbrief 04-2025, der Siepraxisnah über den EU-Emissionshandel (EU-ETS 1/EU-ETS 2) und den nationalen Brennstoffemissionshandel (nEHS) informiert. Erfahren Sie alles Wichtige rund um das Thema Monitoring und Berichtswesen im EU-ETS 1 und nEHS/EU-ETS 2, den börslichen und bilateralen CO2-Handel und vieles mehr.
EU-KOMMISSION ENTSCHÄRFT EU-ETS 2 – PREISE FALLEN
Die EU-Kommission hat Maßnahmen zur Eindämmung des Preisniveaus im neuen europäischen Emissionshandel für Brennstoffe EU-ETS 2 angekündigt. Der Markt reagiert prompt: die Preise für EU-ETS 2-Futures sind von 84 €/t CO2 auf 62 €/t CO2 gefallen. Was kann man von den neuen Maßnahmen erwarten?
Druck der Mitgliedsstaaten hat gewirkt
EU-Klimaschutzkommissar Wopke Hoekstra hat am 21.10.2025 beim Treffen der Umweltminister in Luxemburg ein Paket von Maßnahmen angekündigt, um den CO2-Preis im ab 2027 geltenden EU-ETS 2 auf einem niedrigeren Niveau zu halten. Damit gab er Forderungen seitens 16 EU-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, nach, die am 25. Juni in einem Non-Paper Änderungen am bisherigen Beschluss gefordert hatten. Die Visegrád-Staaten (Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn) und Zypern verlangten sogar eine Verschiebung des ETS 2-Starts auf 2030 – eine Forderung, die sich bislang nicht durchsetzen konnte. Zu den Maßnahmen, die Hoekstra nun angekündigt hat, zählt eine Anpassung der Marktstabilitätsreserve (MSR2), die wie im ETS 1 auch im ETS 2 als preisstabilisierender Mechanismus vorgesehen ist. So soll die MSR2 unter anderem in die Lage versetzt werden, in bestimmten Situationen deutlich mehr Zertifikate als bislang geplant in den Markt zu geben, und zum anderen sollen Zertifikate, die sich Ende 2030 in der MSR2 befinden, nicht wie bisher geplant gelöscht werden, sondern dort verbleiben. Zudem soll der ETS 2-Auktionsstart in das Jahr 2026 vorgezogen werden, sodass die Einnahmen aus der Zertifikateveräußerung den teilnehmenden Staaten früher zur Verfügung stehen, sowie eine Vorfinanzierung einschlägiger Investitionen durch die Europäische Investitionsbank (EIB) erfolgen. Infolge der Ankündigung Hoekstras sanken die Preise für ETS 2-Futures an der Intercontinental Exchange (ICE) von 84 €/t CO2 kurz vor der Ankündigung auf 62 €/t CO2 danach. Kritiker sehen in dem Vorstoß eine Entkräftung des ETS 2, da insbesondere durch die geplanten Anpassungen der MSR2 voraussichtlich zusätzliche Emissionen entstünden und so die Wahrscheinlichkeit sinke, die Klimaziele einzuhalten.
Hohe Preisprognosen sorgten für Unruhe
Anders als in Deutschland, wo bereits seit 2021 ein Emissionshandel für die Brennstoffemissionen aus den Sektoren Verkehr und Gebäude besteht, ist das ETS 2 für die meisten EU-Mitgliedsstaaten von Grund auf neu. Viele Mitgliedsstaaten vor allem in Osteuropa, welche bislang über keine CO2-Bepreisung dieser Sektoren verfügen, befürchten deshalb eine hohe Belastung für ihre Bürger, wenn diese plötzlich für ihre CO2-Emissionen aus dem Heizen und Tanken bezahlen sollen – zumal die Standards etwa bei der Heiztechnik und Gebäudedämmung z.T. weitaus geringer sind. Laut Klima-Denkfabrik Epico drohe etwa drei Millionen polnischen Haushalten, die mit Holz oder Kohle heizten, eine Heizkostensteigerung von bis zu 150 Prozent. Aufgrund höherer CO2-Vermeidungskosten bei Verkehr und Gebäuden als in den seit 2005 vom ETS 1 abgedeckten Sektoren (Industrie- und Energieanlagen, Luft- und Seeverkehr) gehen Experten zudem bislang von deutlich höheren Zertifikatepreisen im ETS 2 aus. Obwohl die EU-Kommission im Vorfeld einen „Zielpreis“ für das ETS 2 von 45 €/t CO2 ausgewiesen hatte, sagen die meisten Analystenprognosen etwas anderes voraus. Prognosen reichen von 50 €/t CO2 bis hin zu 340 €/t CO2 im Jahr 2030, die meisten von ihnen liegen über 100 €/t CO2. Zum Vergleich: der aktuelle EUA- (ETS 1-Zertifikate-) Preis liegt bei ca. 79 €/t CO2. Im Lichte dieser Diskrepanzen gingen die bereits geplanten Mechanismen zur Preisstabilisierung im ETS 2 den meisten Staaten nicht weit genug. Nun hat die EU eingelenkt – und ihre Ankündigung zeigt Wirkung: Bloomberg NEF stellte bereits eine Senkung seiner Prognose für die durchschnittlichen ETS 2-Zertifikatepreise in den Jahren 2027 bis 2030 von 99 €/t CO2 auf 78 €/t CO2 in Aussicht, sollten die angekündigten Maßnahmen verabschiedet werden.
Bisherige und zusätzliche Maßnahmen
MSR2–Eine Marktstabilitätsreserve bestehend aus 600 Mio. Zertifikaten, die bei Bedarf zusätzlich (d.h. nicht von Klimazielen abgedeckt) auf den Markt gebracht werden können.
Regeln:
- Wenn innerhalb der ersten drei Jahre der durchschnittliche Auktionspreis über 2 Monate hinweg 45 €/t CO2 überschreitet, werden dem Markt 20 Mio. Zertifikate hinzugefügt.
- Wenn innerhalb der ersten zwei Jahre der durchschnittliche Auktionspreis über 3 Monate hinweg den durchschnittlichen Auktionspreises der vorherigen 6 Monate um mehr als 50 % überschreitet, werden dem Markt 50 Mio. Zertifikate hinzugefügt.
- Wenn der durchschnittliche Auktionspreis über 3 Monate hinweg höher ist als das Doppelte des durchschnittlichen Auktionspreises der vorherigen 6 Monate, werden dem Markt 50 Mio. Zertifikate hinzugefügt.
- Wenn der durchschnittliche Auktionspreis über 3 Monate hinweg höher ist als das Dreifache des durchschnittlichen Auktionspreises der vorherigen 6 Monate, werden dem Markt 150 Mio. Zertifikate hinzugefügt.
- Wenn weniger als 210 Mio. Zertifikate im Mart zirkulieren, werden dem Markt 100 Mio. Zertifikate hinzugefügt.
- Wenn mehr als 440 Mio. Zertifikate im Markt zirkulieren, werden dem Markt 100 Mio. Zertifikate entzogen.
- Nur ein Trigger pro Jahr kann zur Ausschüttung zusätzlicher Zertifikate führen.
- 2030 wird die MSR2 aufgelöst und sämtliche noch darin verbliebene Zertifikate vernichtet.
Änderungen/Zusätze:
- Verdopplung der Ausschüttung im Falle der Überschreitung von
45 €/t CO2 in zwei aufeinander folgenden Monaten innerhalb der ersten drei Jahreauf 40 Mio. Zertifikate. - Zwei Trigger pro Jahr können zur Ausschüttung zusätzlicher Zertifikate führen.
- Fortführung der MSR2 ermöglicht länger politische Einflussnahme auf Preise.
Frontloading – Die vorgesehene Gesamtmenge an Zertifikaten für 2027 wird um 30 % erhöht. Die Gesamtmenge wird in den Jahren 2029 – 2031 entsprechend reduziert.
Änderungen/Zusätze:
Vorverlegung des Auktionsstarts nach 2026 ermöglicht früheres Preissignal am Markt sowie schnellere Staatseinnahmen.
Klimasozialfonds –EU-Fonds aus Auktionserlösen zur Finanzierung unterstützender Maßnahmen für einkommensschwache und unverhältnismäßig betroffene Haushalte. Geschätztes Mindestvolumen: 87 Milliarden Euro von 2026 bis 2032.
Änderungen/Zusätze:
Vorfinanzierung durch die Europäische Investitionsbank (EIB), sodass Maßnahmen früher umgesetzt werden können.
Ohne Einigkeit kein Emissionshandel
Dass die zusätzlichen Maßnahmen zur Preisstabilisierung der EU ausreichen werden, die Bedenken der Unterzeichnerstaaten des Non-Papers auszuräumen, ist naheliegend. Ob sie hingegen ausreichen werden, die Visegrád-Staaten zu beschwichtigen, bleibt ungewiss. Noch liegt keine offizielle Äußerung der äußerst ETS 2-kritisch eingestellten Regierungen dieser Länder zu den Reformplänen vor. Was würde passieren, sollten diese sich schlicht weigern, das ETS 2 umzusetzen? Das ist völlig unklar. Zwar kann die EU Vertragsverletzungsverfahren gegen Staaten initiieren – wie sie es infolge der versäumten Umsetzung zum 30. Juni 2024 der um das ETS 2 erweiterten Emissionshandelsrichtlinie bereits gegen 26 von 27 EU-Mitgliedsstaaten getan hat (einzig Österreich hatte die Frist eingehalten). Letztlich kann sie die Staaten jedoch nicht zur (rechtzeitigen) Umsetzung der Richtlinie zwingen. Insbesondere jetzt, da der Auktionsstart im ETS 2 nach 2026 vorgezogen werden soll, drängt die Zeit – sollen die Auktionen im Herbst 2026 beginnen, so verbleiben noch knapp 10 Monate für die nationale Umsetzung. Solange nicht alle Mitgliedsstaaten das ETS 2 rechtlich implementiert haben, ist ein Auktionsstart sehr unwahrscheinlich. Unklar ist auch, ob selbst positiv gegenüber dem ETS 2 eingestellte Staaten wie Frankreich im Hinblick auf innenpolitische Spannungen die rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie gewährleisten können. Die Situation bleibt also ungewiss. Verschlimmert wird sie noch dadurch, dass ein Großteil der Länder zum 30. Juni 2025 keinen Klima-Sozialplan bei der EU vorgelegt hat – eine Voraussetzung dafür, um auf die Finanzierung des EU-Klimasozialfonds für Unterstützungsmaßnahmen sozial schwacher Haushalte zuzugreifen, welche besonders von den steigenden Tank- und Heizkosten betroffen sein werden. Deutschland hat diese Frist ebenso verpasst wie die osteuropäischen Staaten.
Quelle: https://www.ieta.org/ets2-tracker
Ein nationaler Mindestpreis für CO2
Für Deutschland ist die Belastung durch das ETS 2 in den ersten Jahren überschaubar. Würde der „Zielpreis“ der EU-Kommission von 45 €/t CO2 eingehalten, würde das sogar eine Entlastung für deutsche Unternehmen bedeuten, die nach dem nationalen Emissionshandelssystem (nEHS) bereits heute einen CO2-Preis von 55 €/t CO2 zahlen. Dank des nEHS ist Deutschland besser auf das ETS 2 vorbereitet als so ziemlich sämtliche anderen europäischen Länder. Einige Stimmen fordern daher bereits einen Mindestpreis für CO2-Emissionen in Deutschland, um den Investitionsdruck auf Unternehmen und Bürger auch dann aufrecht zu erhalten, wenn die anfänglichen ETS 2-Preise gering ausfallen sollten. Dies wäre auch im Interesse anderer Staaten, da Deutschland mit beinahe einem Viertel der Gesamtemissionen Europas einen großen Einfluss auf die Nachfrage und damit den CO2-Preis in ganz Europa ausübt. Sänken die deutschen Emissionen schneller, so würde dies die ETS 2-Preise insgesamt geringer ausfallen lassen. Die deutsche Bundesregierung hat sich zu derlei Vorstößen bislang nicht geäußert. Langfristig gesehen wird auch ein kurzfristiger Preisrückgang in Deutschland nichts am Aufwärtstrend bei den CO2-Kosten ändern, der durch die abnehmende Deckelung der Zertifikatemengen in den beiden EU-Emissionshandelssystemen forciert wird.
Fazit
Die EU-Kommission wird in den nächsten Wochen einen formellen Legislativvorschlag mit den geplanten Änderungen an der MSR2 und am Auktionsstart im EU-ETS 2 vorlegen. Um die geplanten Änderungen umzusetzen, ist eine Änderung der Auktions-Verordnung sowie der MSR-Entscheidung erforderlich; eine Änderung der Emissionshandelsrichtlinie wird hingegen nicht vonnöten sein. Klar ist, die Ankündigung der EU-Kommission hat gereicht, die Preise für ETS 2-Futures sowie die prognostizierten ETS 2-Zertifikatepreise zu senken. Unklar ist, ob sich diejenigen Staaten, die das ETS 2 bislang verweigern, dadurch zur Kooperation bewegen lassen – die notwendig ist, wenn das ganze nicht krachend scheitern soll.
